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Das Muster bestimmt dein Leben

Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, Träume, Gedichte, Sätze die festgehalten und sich einprägen sollten, Regale voller Bücher. All dies um mich herum. Es wird Zeit aufzuräumen. Ich habe nicht mehr viel Zeit.

Darin das Muster und ein innerer Drang, verstehen zu wollen. Verstehen, wie ich bin. Wie ich in der Welt bin und warum mein Leben so ist, wie es ist. Ich suche den roten Faden. Einsam, allein, getrennt von der Welt und doch voller Angst, gesehen zu werden. Denn was ist, wenn da nichts ist, was wert ist, gesehen und erkannt zu werden? Dabei war ich nie zielstrebig auf der Suche. Ich habe mich treiben lassen. Eine unbewusste innere Führung ließ mich finden.

Der „innere Beobachter“ ist mir schon früh bei Castaneda begegnet. Es ist das Einzige, was ich von dem Indianer aus den Siebzigern verstanden habe: So leben, als säßest du dir selber auf der linken Schulter (oder war's die rechte?). Heute sagt die Physik, das Beobachtete verändert sich durch den Beobachter. Ein Satz von Adorno, zufällig bei mir gelandet, hing jahrelang an der Wand: „Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen kannst, ohne Stärke zu provozieren.“

Ich kann nicht lieben.

Der Einstieg in die Berufstätigkeit: Ich weiß nicht genug. Ich kann nichts. Die anderen sagen, ich bin zu verschlossen. Ich soll mehr aus mir herausgehen.

1982

Das Leben ist doch ziemlich schwer,
sprach einst ein kleiner Teddybär.
Dann schloss er seine Äuglein klein
und schlief vor lauter Sorgen ein.

 

Da nahte sich – doch recht betroffen –
ein Teddy, dessen Augen offen
und dachte, ach' wie fang ich's an,
dass Teddy wieder sehen kann?

 

Ich werde ihn erst einmal wecken,
damit wir beide mal entdecken,
dass man nur sehend dann und wann
den guten Weg entdecken kann.

 

Und als der Bär die Augen offen,
da war er doch recht stark betroffen,
wie hell trotz aller Müh und Pein
das Leben kann doch manchmal sein.

 

Die Bären haben's nun begriffen:
Kein Auge wird mehr zugekniffen!

 

Und doch wieder eingeschlafen.

Ich muss mehr wissen: „Klientenzentrierte Gesprächsführung“: Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte, bedingungslose Akzeptanz, freischwebende Aufmerksamkeit.

1984

Ein feministisch angehauchter Text landete von irgendwoher bei mir: Die Gottsucherin. Etwas darin sprach mich an. Aber ich empfand mich nicht als Gottsucherin, als Feministin schon gar nicht.

Ausbildung in Gestalttherapie, der Körper kam ins Spiel: Gefühle sollten wahrgenommen, gespürt und ausgedrückt werden. Selbstwahrnehmung, Selbstausdruck, Selbstverantwortung. Gefühle sind keine Belästigung. Ich kam wieder in Kontakt mit meiner seit Kindertagen verdrängten Wut. Aggression, Angreifen ist ein Kontaktgefühl. Wenn ich sie spüre, fühle ich mich lebendig.

Meinen Minderwertigkeitsgefühlen auf die Spur kommen. Gespräche zwischen top dog und under dog. Höllenqualen, als ich mich in einem Konflikt zwischen zwei Gruppen entscheiden sollte. Mein Glaubenssatz: Das Leben ist schwer und anstrengend.

„Die Faulheit ist das Kissen des Teufels.“ Gemeint ist die Faulheit, sich nicht mit dem Guten zu beschäftigen. Für Dinge, die mir guttun, muss ich mich auch mal anstrengen.

Diverse Beziehungen zu Männern. Kürzere und längere. Die Längeren waren aus heutiger Perspektive noch zu lang. Trennungen über Trennungen. Ich konnte nicht allein sein.

1987

Ein Geschenk: Die Katzenkarte zeigt eine gemütlich eingerollte, schlafende Katze:

„Ich werde Großes tun! Ich werde die Welt verändern! Aber zuerst muss ich ausschlafen!“

Erste Begegnungen mit Buddhisten. Leben im Hier und Jetzt. Es hat Jahre gedauert, bis ich eine Ahnung hatte, was das bedeutet. Das Leben nicht anders haben wollen, als es jetzt gerade ist. Nicht dualistisches Denken – das ist spannend. Das Gefühl, eine Wand zwischen mir und anderen zu haben. Die eigene Begrenzung spüren. Schüchternheit, „vornehme“ Zurückhaltung statt lebendigem Ausdruck. Der Charakterpanzer ist Schutz gegen Angriffe von außen (W. Reich) und Schutz gegen Explosionen im Inneren. (F. Perls) Spontaneität und Handeln = Bewusstheit. „Ist jemand bereit, den Schmerz und die Trauer und die Verzweiflung durchzumachen, kann er die Gestalt schließen.“

Hin und her gerissen zwischen Nähe und Distanz. Kontakt und Rückzug, Autonomie und dem Wunsch nach Verschmelzung (der Orgasmus ist der Kick ins All!), der Angst nicht zu genügen, Fehler zu machen, etwas nicht zu wissen. Der Wunsch, geliebt zu werden, erkannt zu werden und selbst nicht lieben können.

Ich lasse mich selbst nicht in Ruhe. Alles will ich gut und nichts falsch machen. Denke zu viel, verkompliziere dadurch die Dinge. Fühle mich von anderen ständig beobachtet, bewertet und kontrolliert. Ich beobachte, bewerte und kontrolliere andere. „Gott achtet mich, wenn ich arbeite. Aber Gott liebt mich, wenn ich singe.“ (R. Tagore) Es geht nicht um Leistung, sondern um Engagement: Um die Freude an Aktivität, Produktivität. Kreativität. Um die Freude, etwas zu bewegen.

Was sieht jemand, wenn er mir länger in die Augen sieht? Ein schwaches Selbst:

Scheu, verletzlich, sensibel, entscheidungsschwach, nur mittelmäßig intelligent, träge, bequem, phlegmatisch, selbstkritisch, selbstzweifelnd, einfühlsam, humorvoll, schweigsam, überangepasst, tatkräftig, aufgeschlossen, vital, energiegeladen, mit Durchsetzungsvermögen (wenn es wirklich nicht anders geht).

Wie ich sein sollte/wollte: Leistung bringen, Ideen haben, alles im Griff haben, keine Unsicherheiten. Intelligent. Irgendwie sein müssen. Irgendetwas beweisen müssen. (Ich habe es so satt.)

Ich schaffe alles allein: Wenn es mir nicht gut geht, ziehe ich mich zurück. Den WG Genoss*innen präsentiere ich die Ergebnisse. Das kommt oft nicht gut an. Nicht Bestätigung oder Anerkennung zum Kriterium machen, sondern meine Bedürfnisse nach Nähe und Geborgenheit, getragen sein, menschlicher Wärme, Unterstützung und Verlässlichkeit. Anfälle von psychischer und physischer Kraftlosigkeit.

In Beziehungen gehe ich meiner Angst vor wirklichem Kontakt, vor gleichwertiger Auseinandersetzung aus dem Weg. Bin immer für den anderen da, opfere mich auf.

Nehme mir zu wenig Raum für mich, für das, woran ich Freude habe.

Ich muss offener werden. Aufrichtiger werden in meinen Beziehungen. Verantwortung übernehmen. Meine eigenen Antworten geben. Keine falsche Bescheidenheit, keine falsche Großzügigkeit, um geliebt zu werden. Andere verschaffen mir mein Lebensgefühl, ich tue nichts, um mir ein eigenes Lebensgefühl zu erschaffen. Das bedeutet mich zu öffnen (wie geht das?) und aufrichtig sein.

1988

Nur in mir und mit religiöser mystischer Bindung werde ich Ruhe finden. Immer wieder Kraftlosigkeit, Trennungsschmerz, Unruhe. Mich nicht mehr klein machen. Ein bisschen angeben. Mein Leben gestalten, zielgerichtet mit dem, was mir Spaß und Freude macht, genießen. Ich fühle mich ohne Beziehung unvollkommen.

1992

Zufällig begegnet mir das Enneagramm. Versteckt in einer Fortbildung für Fortbildner*innen. Bei den SIEBENern geht es mir gut. Wir haben viel gelacht.

1996-98

„Enneagramm intensiv“ im Rahmen einer Ausbildung zur Supervisorin und Führungskraft. Letzteres interessierte mich weniger. Ich fühlte mich dazu nicht berufen. In der Leitungsrolle würde ich mich nur wieder getrennt fühlen von den anderen. Ich arbeite lieber als Gleiche unter Gleichen.

„Es ist keiner, der meine Seele tröstet. Denke ich an Gott, dann muss ich stöhnen.“ Psalm 77,3 f. (in: Reifarth, Das Enneagramm)

Beim Vorlesen dieses Satzes, begann ich zu zittern und zu weinen. Er ging durch Mark und Bein. Ein Mensch dieses Musters wollte ich zunächst nicht sein. Ich freundete mich an und bin angekommen. Der rote Faden endet nach verschlungen Wegen in der NEUN.

Intensive Auseinandersetzung mit mir, mit der Ausbildung. Abschlussarbeit – ein Identitätskonzept. Wer bin ich als Supervisorin? Kann ich das? Darf ich das? Um kurz vor 24 Uhr zum Briefkasten mit Nachtleerung. Geschlossen! Ich musste um Aufschub bitten.

2007

Wieder ging eine Beziehung in die Brüche. „Vergeh‘ dich ruhig, vergeh‘ dich an dir selbst und tu dir Gewalt an, meine Seele; doch später wirst du nicht mehr Zeit haben, dich zu achten und zu respektieren. Denn ein Leben nur, ein einziges hat jeder. Es ist aber für dich fast abgelaufen und du hast in ihm keine Rücksicht genommen auf dich selbst, sondern hast getan, als ginge es bei deinem Glück um die anderen Seelen ...

Diejenigen aber, die die Regungen der eigenen Seele nicht aufmerksam verfolgen, sind zwangsläufig unglücklich.“ (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, in: Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon)

Ich habe wieder auf dem falschen Feld gegraben.

Im Traum: „Vater, Vater, warum hast du mich verlassen?“ „Ich bin da, ich bin da!“

„Du hast mich so geschaffen, dass ich Sinn brauche. Verstehen will.“ „Du brauchst ab einem bestimmten Punkt keinen Sinn mehr, sondern Vertrauen.“ Am nächsten Tag: „Was mach‘ ich jetzt damit?“ „Sprich mit mir!“

Mein Vater starb, als er ahnte, dass seine Tochter doch nicht so schwach war, wie er immer geglaubt hatte. „Wie du mit den Ärzten sprichst!“ Er konnte gehen. Er musste nicht mehr auf mich aufpassen. Ich konnte eine Zeit lang für ihn da sein, für ihn sorgen.

Ich konnte mich von ihm verabschieden. Ich konnte dafür sorgen, dass sein Körper respektvoll behandelt wurde. Habe mich nicht aus dem Raum schicken lassen. Ich hätte wie eine Löwin gekämpft.

Zur Beerdigung ein Buchtipp meiner Cousine: Eckhart Tolle. Drei Bücher verschlungen. Die Botschaft: Das bist du nicht wirklich! Wer bin ich denn dann, verdammt nochmal? Du bist diejenige, die beobachtet, die eine Flasche beobachtet, in der all ihre Eigenschaften, Gedanken und Gefühle eingeschlossen sind.

Das geht hier in dieser ganzen Nummer doch wohl nicht um Erleuchtung oder Erlösung von dem Bösen? Das kann doch nicht sein. Das ist was für Yogis auf dem Nagelbrett. Für Einsiedler in finsteren Höhlen. Vielleicht sollte ich doch irgendwann einmal ins Kloster gehen? Ein unerfreulicher Gedanke.

2010-12

Weiterbildung zur Enneagrammlehrerin. Selbstbeobachtung und neues Denken. Selbsterinnerung. Das Enneagramm der Persönlichkeit zeigt, was du nicht bist. (Eli Jaxon- Bear). Das spirituelle Enneagramm zeigt, wer du wirklich bist. Sein könntest. Da ist etwas Strahlendes, zum Heulen Schönes in dir (und in mir). Das göttliche Potenzial in mir und den Menschen erkennen. Sprich mit mir! Und es spricht mit allen Sinnen und Stimmen.

Biografie = Lebenszeichen; Zufälle = Schicksal. Was einem zufällt, einem geschickt wird. (Buber). Gestalt = von innen her bestimmt. Keine Dualismen mehr. „Aber“ durch „und“ ersetzen. Vom Entweder-oder zum weisen Sowohl-als-auch.

Nach sieben (!) Jahren Alleinsein, 2014 der mühsame Beginn einer neuen Beziehung. „In mir ist alles rot. Das Gegenteil von tot – mein Herz“. Der (An)sturm der (Körper-)Gefühle in mir. Sie werden schmerzlich, wenn ich mich mit ihnen identifiziere. Was, wenn ich das nicht tue? Wie geht das, sich nicht identifizieren?

Selbstbeobachtung nicht vergessen. Ja, es kostet mich Kraft, nah bei mir und bei dir zu sein. „Von guten Mächten wunderbar geborgen ...“ Du bist ein Teil davon. Daher kommt die Kraft.

„Nimm dich selbst wahr und wo du dich findest, da lass dich. Das ist das Allerbeste.“ (Meister Eckhart)

Es gibt keine Trennung. Was ich mir antue, tue ich dir an und umgekehrt und wechselseitig. Der Körper gibt uns Orientierung in der Welt. Mit dem Kopf wird Erkenntnis daraus. Fehlt nur noch das Herz. Vielleicht können wir einander lieben lernen.

Vielleicht können wir uns gemeinsam mit dem Enneagramm beschäftigen. Ohne das Enneagramm, das Wissen um die Unterschiedlichkeit der Muster, wäre ich nicht bei Dir geblieben. Wir können auf den Basar gehen und unsere Wünsche und Bedürfnisse aushandeln. Mit Vertrauen wird der Schmerz süß. Mit Angst wird er grausam.

Ich freu' mich so und es schmerzt. Es ist immer beides. Nix ist umsonst im Leben. Es kostet immer das Wagnis, sich ihm hinzugeben. Den Widerstand (das Ego) aufzugeben.

Djihad – der heilige Krieg gegen das Ego! Mein Herz war noch nie so offen. Soviel Freude, soviel Harmonie.

2018

It is better to have loved and lost, than never to have loved at all.

Die Trennung kam urplötzlich und doch nicht ganz überraschend. Es gab erste schwache Anzeichen. Wir müssten mehr miteinander reden. Wir müssten ehrlich und offen miteinander sein. Ein guter Vorsatz, der nicht eingehalten, vergessen wurde. Die Angst, die unehrliche Harmonie zu zerstören. Für Sekundenbruchteile ein klares Bild aus dem Unterbewusstsein: Er wird wieder gehen. Die Selbstvergessenheit des Musters NEUN. Angepasst an sein Programm: Es muss mehr gemacht werden! Es gibt so wenig Zeit. Soviel will erledigt werden in Haus und Hof.

Nun doch als Leitungskraft unterwegs, muss ich ständig präsent sein: Mich kümmern, Kommunikation organisieren, entscheiden, Probleme lösen, erinnern, Strategien überlegen, anschieben. Überstunden, funktionieren, alles schaffen, alles richtig machen, auch hier den Dingen auf den Grund gehen. Alles war anstrengend. Sogar die allnächtlichen Telefonate. Die Lust ging auch deshalb verloren. Ich konnte mich mit ihm nie wirklich entspannen. Das habe ich erst im Nachhinein erkannt. Meine Bemühungen, Brücken zu bauen, wurden nicht honoriert.

Ich kann und will mich nicht mehr so anstrengen. Nicht dienstlich und nicht in Beziehungen. Vergeblichkeitsfalle oder zu mir stehen? Meine begrenzten Energien anerkennen. Noch Kraft und Lust haben, nicht auf das, was dringend ist, sondern auf das was wirklich wichtig ist. Den Weg nach Innen weitergehen. Mich davon nicht ablenken lassen. Wo auch immer er hinführt.

Ein Gott, der nicht tröstet, ist eine Lüge. (Meister Eckhart)

Paula

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